Dienstag, der 14. Juni 2016

„Antibiotika – Fluch oder Segen? Die Multiresistenzproblematik – Tierärzte in Verantwortung“

Nachbericht zur Podiumsdiskussion des IVPTÖ (Interessensverband praktizierender TierärztInnen in Österreich) am 11. Juni in der Veterinärmedizinischen Universität Wien. 

Kurze Zusammenfassung der Diskussion 

Damit Antibiotika auch in Jahren noch wirken ist Aufklärung dringend notwendig

Es steht außer Zweifel, dass wir auf eine Zeit zusteuern, in der Antibiotika nicht mehr jene Wirkung haben werden, wie wir sie heute kennen. Die Antibiotikagabe bei Tieren, ob Nutztier, ob Haustier, spielt dabei eine entscheidende Rolle und hat Auswirkungen auf den Menschen. Der IVPTÖ (Interessensverband praktizierender TierärztInnen in Österreich) hat dieses brisante Thema aufgegriffen und am 11. Juni mit hochkarätigen Fachleuten verschiedener Disziplinen umfassend diskutiert.

Mit dabei waren Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit, Landwirtschaft, Nutztier- und Kleintierpraktiker, human- und veterinärmedizinische Mikrobiologen, das Öffentliche Veterinärwesen und Konsumenten- bzw. Umweltschutz.  Ca. 150 Interessiert besuchten die die Veranstaltung. Beachtlich der hohe Anteil an Studierenden der Veterinärmedizin, jener Generation, die dieses Problem ihr ganzes Berufsleben lang begleiten oder dominieren wird.

Es zeigte sich dabei, dass die Information der Tierbesitzer (Nutztiere, Pferde, Klein- und Heimtiere) über die Wichtigkeit des Themas und die globalen Auswirkungen nicht ausreichend gegeben ist und rasch verbessert werden muss.

Es sollte durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden, dass künftig bei Infektionsverdacht die routinemäßige Erstellung von Antibiogrammen zum diagnostischen Prozedere dazugehört.

Da dies mit Kosten verbunden ist benötigt es dazu die Unterstützung der öffentlichen Hand (BMG) um das nötige Bewusstsein zu schaffen, zum Wohle des Einzelnen und künftiger Generationen.

Bitte beachten Sie auch die Anhänge:
– Auswertung einer aktuellen Umfage zum Einsatz von Antibiotika
– Einsatz von Antibiotika in der Tierärztlichen Praxis

 Die Podiumsteilnehmer

Dr. Ulrich Herzog / BM für Gesundheit – VerbraucherInnengesundheit und Veterinärwesen
Univ.Prof. Dr. Franz Allerberger/Österr. Agentur für Ernährungssicherheit (AGES)
ÖR Ing. Franz Reisecker / Landwirtschaftskammer OÖ
Dr. Markus Kasper / Kleintierpraktiker / Tierklinik Aspern
VR Dr. Walter Obritzhauser / Nutztierpraktiker / Landesstellenpräsident Steiermark
Univ.in Dr.in Annemarie Käsbohrer / VMU – Institut für Öffentliches Veterinärwesen
Dr. Igor Loncaric / Mikrobiologie Veterinär Medizinische Universität Wien
Sebastian Theissing / Greenpeace
Moderation: Rainer Nowak / „ Die Presse“

Statements der Podiumsteilnehmer

Eröffnung und Begrüßung: Dr. Markus Kasper
Das Thema Antibiotika-Resistenz ist brisant und geht alle an. Nur wenn in allen Bereichen sorgsam mit dem Antibiotika-Einsatz umgegangen wird. Nur so kann verhindert werden, dass über kurz oder lang die präantibiotischen Zeit zurückfallen und Infektionen nicht mehr bekämpft werden können. Internationale Zusammenarbeit ist wichtig und wird beim IVPTÖ durch Herrn Mag.med.vet. Berthold Grassauer vor allem am Nutztiersektor hervorragend abgesichert.

In anderen Ländern werden Tierärzte durch z.B. Lesezeichen in Fachbüchern dauernd auf die Wichtigkeit des sparsamen und richtigen Antibiotikaeinsatzes hingewiesen. Bei uns gibt es keine Informationspolitik. Weder für Tierärzte noch für Tierbesitzer.

Dr. Andrea Wüstenhagen (Obfrau des IVPTÖ) stellt die Ergebnisse der Umfrage des IVPTÖ vor, in dem österreichische Tierärzte zum Umgang mit Antibiotika in der Praxis befragt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass Österreichs Tierärztinnen und Tierärzte gut aber noch nicht in genügendem Umfang informiert sind.

Moderator Rainer Nowak stellt die Podiumsteilnehmer vor und bittet um ein Statement der Teilnehmer.

Sebastian Theissing, Greenpeace: Antibiotika-Resistenz ist ein Thema der ganzen Gesellschaft, in der Landwirtschaft müssen AB auf  bestimmte wichtige Fälle reduziert werden, aber auch in der Humanmedizin ist ein sorgsamer Umgang wichtig.

In der EU sterben jährlich 25.000 Menschen, weil AB nicht mehr greifen, nur eine gemeinsame Lösung auf allen Ebenen kann da die Gefahr eindämmen. Die Britische Gesundheitsbehörde rechnet hoch: bis 2050 10 Mio. Tote wegen resistenter Bakterien.

Dr. Igor Loncaric, VMU: Die Forschung und bakteriologische Diagnostik hat erschreckende Ergebnisse gefunden, AB-Rückstände sind in Wildtieren, Nutztieren, Pflanzen und Böden zu finden und auf bestimmte Antibiotika resistente Keine spielen heute schon eine sehr große Rolle.

Ing. Franz Reisecker, in der Landwirtschaftskammer für Tiergesundheitsfragen zuständig: selbst Landwirt, Lösung kann nur in Qualitätsproduktion gesucht werden, wichtig ist hohe Tiergesundheit und Tierwohl, gute Bestandsbetreuung. Die Trends der Konsumenten gehen in Richtung: gesunde Ernährung, Bioprodukte, regionale Produkte; Österreich hat viele kleinstrukturierte Landwirtschaftbetriebe, prophylaktischer Antibiotika-Einsatz ist in Österreich verboten, der TGD (Tiergesundheitsdienst) ist ein seit 10 Jahren bestender wichtiger und richtiger Schritt zur Zusammenarbeit in Richtung AB-Reduktion, Betriebshygiene und Bestandsbetreuung, Prophylaxe wird durch Vakzination unterstützt, AB werden nur im Krankheitsfall an die Tiere verabreicht.

Dr. Markus Kasper, Kleintierpraktiker: Auch in der Kleintierpraxis ist durch die gemeinsame „Bakterienwolke“ in der Mansch und Tier leben, der sorgsame Umgang mit AB wichtig, auf keinen Fall soll Panikmache eine Rolle spielen, aber es wird immer wichtiger, welche AB bei Tieren eingesetzt werde sollen und welche für Menschen vorbehalten werden müssen und dazu benötigt es breite Information der Tierbesitzer.

Dr. Walter Obritzhauser, Rinderpraktiker: Noch immer wird die Diskussion über AB Gaben zu oberflächlich geführt, genaue Studien der AB Verwendung sind wichtig. Seit 2006 sind AB als „Leistungsförderer“ verboten. Die Vergleiche in der EU über die Mengenströme müssen einheitlich gestaltet werden um aussagekräftig zu sein (z.B. die Zusammensetzung der AB-Wirkstoffe muss genau definiert werden) der sorgsame Umgang mit AB ist wichtig

Dr. Franz Allerberger, AGES: Durch den Einsatz der AB gleicher Gruppen für Mensch und Tier ist die Problematik der Resistenzen bei Mensch und Tier gleich hoch. Neue Produkte müssen mindestens 10 Jahre der Anwendung am Menschen vorbehalten bleiben, strenge Trennung der Medikamente für Mensch oder Tier sind Grundvoraussetzung der Resistenzbekämpfung

Dr. Ulrich Herzog,  Gesundheitsministerium: internationale Vergleichsdaten jährlich am Tierseuchentag, wichtig wäre weltweiter Stopp der Leistungsförderer und weltweit der sorgsame Umgang mit AB-Einsatz, die Industrie ist gefordert neue Produkte zu erforschen, die Forschung muss staatlich gefördert werden. Die öffentliche Diskussion uns Information muss verstärkt werden (Antibiotikatag im November) Mengenstromanalyse, Monitoring der Entwicklung, Kontrolle von Rückständen in Pflanzen, Trinkwasser und Boden. Die Kernbotschaft lautet: es ist eine globale Lösung notwendig, aber jedes einzelne Land muss seine Schritte rasch umsetzen.

Dr. Annemarie Käsbohrer, VMU: AB Resistenzen sind ein globales Problem, die Verbraucher sind gefährdet, die Interaktion Mensch/ Tier und Umwelt muss beobachtet, gemessen und verbessert werden, die Wissenschaft muss sich diesem komplexen Thema verstärkt annehmen, es gibt keine einfache Lösung aber der Weg kann nur über eine starke Reduktion der AB-Anwendung gehen, durch Verbesserung der Hygiene, eine optimale Umwelt in der Tierhaltung, Schritte an denen Alle mitarbeiten müssen.


Anschließend wurde darüber diskutiert welche Maßnahmen gesetzt werden müssen.

Die wichtigsten Punkte, die herausgearbeitet werden konnten:

Keine Schuldzuweisungen, es ist ein Thema, das Alle angeht und jede Branche kann ihren Teil dazu beitragen. Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden, das liegt in der Verantwortung der Ministerien, die Systeme schaffen müssen die Verbesserungen möglich machen.

Tierhalter/ Tierbesitzer und Tierarzt können den Umgang mit AB verändern und die Notwendigkeit des Einsatzes vermindern, in dem Haltungsbedingungen optimiert werden und die Gesundheit der Tiere gestärkt wird. Ein guter Weg dahin wird bereits mit der Bestandsbetreuung in der Landwirtschaft beschritten. Die Tierärzte brauchen mehr Rückhalt von den Behörden, um die einzelnen Schritte rascher umsetzen zu können und das richtige, wenngleich oft wirtschaftlich nicht so attraktive Präparat anwenden zu können.

Nur über gutes Betriebsmanagement, genaue Diagnose und weiterführende Diagnostik kann der AB-Einsatz vermindert werden, wichtig ist auch eine genaue Dokumentation in den Landwirtschaftsbetrieben.

Laut Greenpeace sind die ersten Schritte gut und rasch umgesetzt worden, aber jetzt ist die Weiterentwicklung in Stocken geraten, weitere Ziele müssen definiert werden um Umgesetzt werden zu können. Österreich muss Vorreiter in der qualitativ hochwertigen Landwirtschaft sein. Der Import schlechterer Produkte sollte beschränkt werden, die angebotene Diagnostik bei Mensch und Tier muss noch viel stärker genutzt werden, Antibiogramme vor der AB-Gabe sollten selbstverständlich sein. Dadurch wird auch die Information verbessert und die Wissenschaft kann besser darauf reagieren. Trotzdem muss in der Praxis meist schon vor dem Ergebnis des Antibiogrammes mit einer Therapie begonnen werden! Antibiogramme sind nicht so sehr für den Einzelfall wichtig, mehr noch für die Erfassung der Gesamtsituation der Keimanwesenheit in bestimmten Umgebungen. Schnellteste werden immer häufiger angeboten und immer effizienter.

Alternativmedizin, wie Einsatz der Homöopathie, ist ein wichtiger Bestandteil in der Medizin bei Mensch und Tier, die Forschung arbeitet in alle Richtungen, die „Biosicherheit“ wird ein wesentliches Kriterium beim Einsatz der Medikamente werden. Haltung und Umwelt sind für die Gesundheit immer bedeutender und Schwerpunkt für die Gesundheitsparameter in der Landwirtschaft in den kommenden Jahren. Die Begriffe AB-Resistenzen und AB Rückstände sind in ihrer Bedeutung sehr unterschiedlich und müssen im Bewusstsein der Menschen genau definiert verankert werden.

Was nehmen wir mit:

Im Vordergrund steht die Information der Tierbesitzer (Nutztiere, Pferde, Klein- und Heimtiere) – über die weltweite Wichtigkeit der Eindämmung der Problematik UND dass künftig, bei Infektionsverdacht, die routinemäßige Erstellung von Antibiogrammen zum diagnostischen Prozedere dazugehört, denn das ist letztlich mit Kosten verbunden. Dazu benötigt es die öffentliche Hand (BMG), die Tierbesitzer und Tierärzte über die AB-Resistenz informiert und hervorhebt, dass das zum Wohle des Einzelnen und künftiger Generationen passiert.

Bildbeschreibung:
1. Reihe v.l.n.r.
Univ.Prof.in Dr.in Annemarie Kaesbohrer, Vet.med. Universität Wien / Institut für Öffentliches Veterinärwesen
Moderation: Rainer Nowak (Chefredakteur „Die Presse“)
2.Reihe v.l.n.r.
Dr.med.vet. Walter Obritzhauser / Landesstellenpräsident der ÖTK Steiermark, Nutztierpraxis
Dr.med.vet. Markus Kasper / TIERKLINIK ASPERN Wien, Kleintierpraxis
Dr.med.vet. Ulrich Herzog, BMG (Bundesministerium für Gesundheit)
Prof. Dr. Franz Allerberger, AGES (Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit)
Frau Dr .med.vet. Andrea Wüstenhagen (Obfrau), IVPTÖ www.ivptoe.at
Hr. Sebastian Theissing, Greenpeace
Präsident ÖR Ing. Franz Reisecker / LK OÖ, Landwirtschaft
Dr.med.vet. Igor Loncaric VMU, Mikrobiologie Veterinärmedizin

Rückfragen:
IVPTÖ – Interessensverband praktizierender TierärztInnen in Österreich, www.ivptoe.at
Dr. Markus Kasper, Tel. 0676 5516402
Email: m.kasper@ivptoe.at
und
Dr .med.vet. Andrea Wüstenhagen (Obfrau), Tel. 0699 11218382
E-Mail: feedback@ivptoe.at

Presse-Rückfragen
 PR Plus GmbH 
Charlotte Ludwig, Tel. 0664-1607789
Email: ludwig@prplus.at